Goethe Gedicht über Druiden und Christen

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Ein Druide
Es lacht der Mai,
Der Wald ist frei
Von Eis und Reifgehänge.

Der Schnee ist fort,
Am grünen Ort
Erschallen Lustgesänge
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh;
Doch eilen wir nach oben,
Begehn den alten heilgen Brauch,
Allvater dort zu loben.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
So wird das Herz erhoben.

Die Druiden.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
Begeht den alten heilgen Brauch,
Allvater dort zu loben!
Hinauf! hinauf nach oben!

Einer aus dem Volke
Könnt ihr so verwegen handeln?
Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
Kennt ihr nicht die Gesetze
Unserer harten Überwinder?
Rings gestellt sind ihre Netze
Auf die Heiden, auf die Sünder.
Ach, sie schlachten auf dem Walle
Unsre Weiber, unsre Kinder.
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle

Chor der Weiber
Auf des Lagers hohem Walle
Schlachten sie schon unsre Kinder.
Ach, die strengen Überwinder!
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.

Ein Druide
Wer Opfer heut
Zu bringen scheut,
Verdient erst seine Bande.
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei!
Und schichtet es zum Brande.
Doch bleiben wir
Im Buschrevier
'Am Tage noch im stillen,
Und Männer stellen wir zur Hut
Um eurer Sorgen willen.
Dann aber laßt mit frischem Mut
Uns unsre Pflicht erfüllen.

  Ein Wächter
Diese dumpfen Pfaffenchristen,
Laßt uns keck sie überlisten!
Mit dem Teufel, den sie fabeln,
Wollen wir sie selbst erschrecken.
Kommt! mit Zacken und mit Gabeln
Und mit Glut und Klapperstöcken
Lärmen wir bei nächtger Weile
Durch die engen Felsenstrecken.
Kauz und Eule
Heul' in unser Rundgeheule!

  Ein Druide
So weit gebracht,
Daß wir bei Nacht
Allvater heimlich singen!
Doch ist es Tag,
Sobald man mag
Ein reines Herz dir bringen.
Du kannst zwar heut
Und manche Zeit
Dem Feinde viel erlauben.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinige unseren Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch,
Dein Licht, wer will es rauben?

  Ein christlicher Wächter
Hilf, ach, hilf mir, Kriegsgeselle!
Ach, es kommt die ganze Hölle!
Sieh, wie die verhexten Leiber
Durch und durch von Flamme glühen!
Menschenwölf und Drachenweiber,
Die im Flug vorüberziehen!
Welch entsetzliches Getöse!
Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
Oben flammt und saust der Böse,
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden!

  Chor der christlichen Wächter
Schreckliche verhexte Leiber,
Menschenwölf und Drachenweiber!
Welch eintsetzliches Getöse!
Sieh, da flammt , da zieht der Böse!
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden!

  Chor der Druiden
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinige unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch,
Dein Licht, wer kann es rauben!

  Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)